23. November 2024, Leipzig, 19:00
Klavierabend
"J.S. Bach: 300. Geburtstag des Wohltemperierten Klaviers Band 1"
Veranstalter:
Notenspur-Nacht der Hausmusik
Gastgäber: Psychoanalytische Praxis Oliver Krauß (Dr. rer. nat.)
August-Bebel-Straße 26
04275 Leipzig
Programm:
Johann Sebastian Bach.
8 Präludien und Fugen aus dem „ Wohltemperierten Klavier“ Band I.
Vor genau 300 Jahren zwischen 1721 und 1723 vollendete Bach die Arbeit
am ersten Teil seines berühmten Wohltemperierten Klaviers. Es brauchte
allerdings über 100 Jahre, bis dieses Werk (wie so viele Werke Bachs)
wiederentdeckt wurde. Dem Berliner Musiker, Pädagoge, Komponist und
Dirigent Professor Carl Friedrich Zelter (1758-1832) ist es zu
verdanken, dass Goethe (1749-1832) und dann Mendelson (1809-1847) mit
Bach bekannt geworden sind. Er schrieb an Goethe, den er 1803 in Weimar
kennenlernte, begeistert über Bach, nannte ihn „einen Dichter der
höchsten Art (...) eine Erscheinung Gottes: klar, doch unerklärbar“ und
bat Goethe inständig, sich das Wohltemperierte Klavier anzuhören. Dieser
willigte ein und so schickte Zelter ihm ein Exemplar. Goethe ließ sich
sogleich vom Berkaer Organisten Schütz daraus vorspielen.
Am 21. Juni 1827 schrieb er diese nachdenklichen Zeilen an Zelter
zurück: „Ich sprachs mir aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich
selbst unterhielte, wie sichs etwa in Gottes Busen, kurz vor der
Weltschöpfung möchte zugetragen haben. So bewegte sichs auch in meinem
Inneren und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen,
und wieder keine Sinne besäße noch brauchte.“
Als der junge Mendelsohn im Mai 1830 bei Goethe zu Gast war, musste auch
er ihm aus dem Wohltemperierten Klavier vorspielen. Mendelsohn war
beeindruckt und ihm ist es schließlich zu verdanken, dass die Sammlungen
120 Jahre nach Entstehung in mehreren Verlagen gleichzeitig erschienen.
Die Empfehlung in Robert Schumanns (1810-1856) „Musikalischen Haus- und
Lebensregeln“ (1850) - "Das Wohltemperierte Klavier sei dein täglich
Brod" - haben sich fortan Generationen von Musikern, darunter alle
großen Pianisten, zu eigen gemacht.
Albert Schweitzer (1875-1965) fasste das Wohltemperierte Klavier 1908 in
seiner monumentalen Bach-Biographie so zusammen:
„Nirgends versteht man so gut wie im Wohltemperierten Klavier, dass Bach
seine Kunst als Religion empfand. Er schildert nicht natürliche
Seelenzustände, wie Beethoven in seinen Sonaten, auch kein Ringen zu
einem Ziel hin, sondern das Reale des Lebens, wie es der Geist
empfindet, der in jedem Augenblick sich bewußt ist, über dem Leben zu
stehn und die widersprechendsten Gefühle, den wildesten Schmerz wie die
ausgelassene Heiterkeit, immer in derselben überlegenen Grundstimmung
erlebt. (…) Wer diese wunderbare Beruhigung einmal mitempfunden hat, hat
den rätselhaften Geist, der hier seine Weltanschauung in der
Geheimnissprache der Töne preisgibt, verstanden und dankt ihm darum, wie
man den einzig großen Geistern dankt, denen es gegeben ist, Menschen mit
dem Leben zu versöhnen und zum Frieden zu bringen.“ (A. Schweitzer,
1908, S. 295f.)
Dennoch wird dieses Werk in Solokonzerten bis heute nur selten zur
Aufführung gebracht. Woran liegt das?Mit Sicherheit hat es nicht nur mit
den technischen Anforderungen zu tun. Möglicherweise liegt das
eigentliche Problem in der Schwierigkeit, die Anforderungen der
geistig-seelischen Dimension des Werkes im modernen Konzertbetrieb zu
erfüllen. Mendelsohn, Schelble und Mosewius – die Wiederentdecker Bachs
– waren (wie Schweitzer bemerkte) „nicht nur Musiker, sondern tiefe,
innerliche Menschen“. (A. Schweitzer, 1908, S.776)
Auf der letzten Seite der hervorragenden 800 Seiten umfassenden
Bach-Biographie von Schweitzer zitiert er Mosewius, der sich 1845 auch
zur Art der Aufführung Bachscher Werke äußerte: „Ein inneres
Gesammeltsein ist bei der Aufführung Bachscher Werke unerläßlich
notwendig, und jeder einzelne (Musiker, geändert durch den Verf.) muss
neben der vollständigen Lösung der technischen Aufgaben in dauernder
geistiger Tätigkeit dabei beharren.“
Und sein Werk abschließend schreibt Schweitzer:
„Möge diese Erkenntnis durchdringen. Dann wird Bach helfen, dass unsere
Zeit zur geistigen Sammlung und zur Innerlichkeit komme, die ihr so not
tut.“
Die Pianistin Tatiana Kozlova bringt Präludien und Fugen aus dem Ersten
Band auf ganz eigene ergrefende Weise zum Erklingen und morderiert die
vorgetragenen Stücke, deren Themen biblisch-christichen Wurzeln
entspringen, wie auch der bedeutende russische Bachforscher B. Jaworsky
eindrücklich nachgewiesen hat. Der Zyklus beginnt mit Erschaffung der
Welt, setzt sich fort in den Kämpfen zwischen den Todesengeln der
Finsteris und den Engeln des Lichts; der Erschaffung des Menschen, in
dem sich diese Kämpfe fortsetzen bis hin zur Verlassenheit des Erlösers
in Gethsemane, der Kreuzigung und der Überwindung des Todes durch die
Liebe in der Auferstehung. Die Pianistin selbst sagt zu ihrer
Interpretation: „Ich höre und verstehe die Präludien und Fugen als
musikalische Ikonen. Sie sind wie Portale in eine andere Dimension, in
der die Zeitkategorien aufgehoben sind. Etwa so wie in der Bibel
geschrieben steht: Beim Herrn sind tausend Jahre wie ein Tag und ein Tag
wie tausend Jahre.“
Präludium und Fuge No. 1 In C Major, Bwv 846
Präludium und Fuge No. 2 In C Minor, Bwv 847
Präludium und Fuge No. 3 In C Sharp Major, Bwv 848
Präludium und Fuge No. 4 In C Sharp Minor, Bwv 849
Präludium und Fuge No. 5 In D Major, Bwv 850
Präludium und Fuge No. 6 In D Minor, Bwv 851
Präludium und Fuge No. 7 In E Flat Major, Bwv 852
Präludium und Fuge No. 8 In E Flat Minor, Bwv 853